Strand-Geschichten eines Schreibwettbewerbs der TAZ - veröffentlicht auf Ferienwohnungen watt-meer.de

Emmanuelle Béart

Das Eis und der väterliche Voyeur am Strand von Cannes
von STEFAN KELLER (3. Preis)

"Ich geh mit dem Kurzen mal ein Eis essen!"

"Schon wieder?", fragte Mutti. "Ihr wart doch heute schon zweimal beim Eiswagen."

"Na, aber wos so heiß ist. Und wir sind doch in Ferien."

Achselzuckend nahm Mutti die Illustrierte wieder zur Hand. Papa und ich machten uns auf den Weg zum Eiswagen, an der Krosett, oder wie die hier sagen, der Straße neben dem Strand. Auch wenn ich es tunlichst für mich behielt, teilte ich Mutters Misstrauen. Warum bekam ich heute dreimal ein Eis, wo ich an jedem anderen Tag, egal ob Ferien oder nicht, für ein einziges den halben Tag quengeln musste? Papa wollte etwas, so viel stand fest. Ich stapfte neben ihm zu den Stufen, die vom Strand auf den Boulevard führten, wo der Eiswagen parkte. Papa jedoch ging weiter den Strand entlang, sodass wir uns der palmenbestandenen Krosett im großen Bogen näherten. Schon beim letzten Mal hatte er versucht, etwas weiter weg von der Straße, etwas näher am Wasser zum Eiswagen zu gehen. Wie letztes Mal blieb Papa auch diesmal auf halbem Wege stehen und blickte aufs Meer.

"Guck mal das schöne Schiff!"

Ich schaute aufs Wasser, aber außer einem blöden, kleinen Segelboot, dessen Mast wild im Wind schaukelte, war da nichts. Ich schaute meinen Papa misstrauisch an. Vielleicht wollte er gar nichts? Vielleicht war er einfach nur verrückt geworden? Mutti achtete immer sehr darauf, dass wir Kinder nicht zu lange in der Sonne blieben. Bei Papa war sie nicht so pingelig. Ich hatte öfters schon gehört, dass zu viel Sonne Schäden im Hirn verursachen konnte. Aber Papa schaute gar nicht aufs Meer und das blöde Boot, dessen Segel gerade herunterkrachte und zwei Männer auf dem Boot zu komischen Gesten verleitete. Papa schaute auf eine Frau, die auf einem dunkelroten Badetuch am Strand wenige Meter vor uns lag.

"Wer ist die Frau, Papa?"

"Welche Frau?"

"Die du die ganze Zeit anstarrst."

"Ich starre niemanden an."

"Doch, tust du."

"Willst du nun dein Eis oder nicht?" Wir gingen weiter, Papa schien die Sonne wirklich nicht gut zu bekommen, sein Kopf hatte eine ähnliche Farbe wie das Badetuch der Frau. Nachdem ich mein Eis hatte, gingen wir zurück. Vater blickte verstohlen auf die Frau.

"Was ist denn an der Frau so besonders?" Ich konnte nichts Besonderes an ihr entdecken. Sie trug zwar nur ein kleines Höschen, aber ansonsten sah sie für mich genauso aus wie Mutter, eine Frau eben.

"Das ist eine sehr berühmte Schauspielerin."

"Ah. In was für Serien hat sie denn mitgespielt?"

"Keine Serien. So etwas macht sie nicht. Sie spielt in Kinofilmen."

"Dann kenn ich sie nicht. Wie heißt sie denn?"

"Emmanuelle Béart."

"Komischer Name."

Im Vorbeigehen betrachtete ich die berühmte Schauspielerin genauer. Sie war jünger als Mutti. Davon abgesehen sah sie nicht viel anders aus. Sie hatte vielleicht längere Haare, nicht so eine praktische Kurzhaarfrisur wie Mutti. Aber das sah ich erst jetzt, als sie sich hinsetzte und ihr Haar schüttelte. Sie hatte wirklich schöne Haare, in dem die Sonne bei jeder Bewegung zu flimmern schien. Beim Schütteln der Haare schaute sie hoch und entdeckte mich. Sie blickte mich an und lächelte mir kurz zu. Erfreut, erschrocken und verlegen senkte ich den Blick und starrte auf ihre Brüste. Schnell hob ich den Blick wieder und schaute ihr in die Augen. Sie hatte sehr schöne Augen, und hätte ich ihre Sprache gesprochen, wäre ich zu ihr gegangen, um ihr zu sagen, wie schön ich sie fand. Dann kehrten wir zu Mutter zurück.

Kurze Zeit später drängte ich Vater, mir wieder ein Eis zu kaufen. Gerne willigte er ein. Mutter protestierte, aber gemeinsam überzeugten wir sie. Zusammen gingen Vater und ich den Strand entlang, ließen uns Zeit, blickten hinaus aufs Meer und bewunderten die schöne Schauspielerin. Jedes Mal lächelte Emmanuelle Béart mich an. Einmal zwinkerte sie mir sogar zu. Meinen Vater würdigte sie keines Blickes.

Fotohinweis:
Stefan Keller wurde 1967 in Aachen geboren. Seit 1994 lebt er als freier Autor in Köln, zunächst als Wirtschaftsjournalist, dann als Dramaturg und Drehbuchautor. Zudem schreibt und veröffentlicht er Kurzgeschichten, Lyrik, Bühnentexte, Werbung und PR


20.9.2003 taz Reise 149 Zeilen, STEFAN KELLER S. 18

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(Herzlichen Dank der TAZ, dass wir die Strand-Geschichten des Sommer-Schreibwettbewerbs 2003 hier auf watt-meer.de veröffentlichen dürfen.)


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