Strand-Geschichten eines Schreibwettbewerbs der TAZ - veröffentlicht auf Ferienwohnungen watt-meer.de

Spuren im Sand

Strandgeschichten
von ELISABETH HOLZAPFEL (16. Preis)

Gedankenverloren stapfte er durch den Sand. Das Gehen fiel ihm schwer, denn die nasskalte Witterung machte einen Spaziergang am Strand nicht gerade zu einem Vergnügen. Seit Tagen hatte es geregnet, und auch jetzt begleiteten ihn Wind und Nieselregen. Die graue Melancholie des Wetters entsprach seiner eigenen Stimmung. Obwohl er sich vorwärts kämpfen musste, dachte er nicht ans Umkehren. Schon lange Zeit hatte er den Wunsch verspürt, diese Reise zu machen, aber nun überkamen ihn doch Zweifel.

Er blieb nahe am Wasser stehen und blickte zurück. In einiger Entfernung sah er verschwommen die Dünen und sonst nur seine eigenen Spuren im Sand. Insgeheim verfluchte er seinen Entschluss, hergekommen zu sein. Ihm wurde bewusst, wie einsam er war. Er zog seine Mütze tiefer ins Gesicht und bemühte sich wieder, dem Wind trotzend, vorwärts zu kommen. Viele Male schon war er im Herbst am Meer gewesen, aber nach dem einen, bestimmten Sommer war es nicht mehr dasselbe wie davor. Genau die Ereignisse dieses Sommers führten ihn nun wieder hierher zurück. Sein Ziel, eine kleine Strandbar in den Dünen, hatte er jetzt vor Augen und steuerte direkt auf sie zu. Die Fensterläden waren zugeklappt, die Terrasse war leer geräumt, und der Sand hatte schon begonnen, Besitz von ihr zu ergreifen. Er stellte fest, dass die Hütte inzwischen einen anderen Anstrich bekommen hatte. Sonst war wohl alles unverändert.

Es passiert so vieles in einer Woche, einem Sommer, einem Leben, aber manches ändert sich nie, kam ihm in den Sinn, als er die Stufen hinaufging und seinen Blick schweifen ließ. Angesichts eines regenverhangenen Strandes reichte dieser aber nicht sehr weit. Wieder kam er ins Zweifeln. Wie hatte er hier die schönste Zeit seines Lebens verbringen können? Es schien eine halbe Ewigkeit seit damals vergangen zu sein. Wie oft hatten sie damals hier gesessen? Jeden Tag hatten sie sich gesehen, anfangs nur zufällig, später wie selbstverständlich. Die Strandbar war ihr Treffpunkt, ihre Insel, ihre Festung. Inmitten von Bergen aus Kissen hatten sie an einem niedrigen Tischchen gesessen, Milchkaffee getrunken, Backgammon gespielt und geredet. Sie erzählten sich alles. Es war, als hätten sie sich gefunden, obwohl ihnen bis dahin nicht mal bewusst war, dass sie auf der Suche gewesen waren. Sie brachte ihn zum Lachen, ließ ihn schweben, gab ihm das Gefühl, begehrenswert zu sein. Für ihn war sie seine Vertraute, Geliebte und unerreichbare Idealfrau in einer Person. War das nicht viel mehr als ein gewöhnlicher Urlaubsflirt?

Im darauf folgenden Jahr hatte sie sich das Leben genommen. Nur durch Zufall hatte er davon erfahren, und erkannte, was für ein Idiot er doch gewesen war. Eine Beziehung passt gerade nicht in mein Leben, hatte er ihr erklärt und es für das Vernünftigste gehalten, den Kontakt zu ihr abzubrechen. Was hätte er gegeben, um noch einmal ihr Lächeln zu sehen, sie im Arm zu halten und ihre Nähe zu spüren. All die Jahre war sie ihm nicht aus dem Sinn gegangen. Nie wieder hatte er jemand wie sie getroffen und sich so danach gesehnt. Wie anders wäre mein Leben verlaufen, wenn wir uns am Ende dieses Sommers nicht getrennt hätten? Es war zu spät. Die Realität hatte ihn eingeholt. Der Arzt gab ihm noch maximal ein Jahr. Gedankenverloren stapfte er durch den Sand. Das Gehen fiel ihm schwer, denn die nass-kalte Witterung machte einen Spaziergang am Strand nicht gerade zu einem Vergnügen. Seit Tagen hatte es geregnet, und auch jetzt begleiteten ihn Wind und Nieselregen. Die graue Melancholie des Wetters entsprach seiner Stimmung. Obwohl er sich vorwärts kämpfen musste, dachte er nicht ans Umkehren.


taz Nr. 7197 vom 1.11.2003, Seite 15, 121 Dokumentation ELISABETH HOLZAPFEL, in taz-Ffm: S.21

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(Herzlichen Dank der TAZ, dass wir die Strand-Geschichten des Sommer-Schreibwettbewerbs 2003 hier auf watt-meer.de veröffentlichen dürfen.)


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